In der Natur gibt es die seltsamsten Geschöpfe. „Methylotrophe“ Bakterien benötigen sogenannte C1-Verbindungen wie Methanol oder Methan für ihren Stoffwechsel. Prof. Dr. Lena Daumann vom Lehrstuhl für Bioanorganische Chemie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf untersucht eine Klasse dieser Bakterien, die bestimmte chemische Elemente aus der Gruppe der sogenannten Lanthanoide für ihren Stoffwechsel benötigen und dafür aufnehmen. Lanthanoide sind aber auch technisch wichtig, sie werden für verschiedene Hightechanwendungen benötigt. Darum will die Chemikerin die Bakterien verwenden, um Lanthanoide zu recyceln und zu trennen.
Manche Bakterien leben in auf den ersten Blick lebensfeindlichen Umgebungen – bei ungeheuren Wasserdrücken und -temperaturen, bei denen andere Organismen längst verkocht wären – oder in extrem sauren Umgebungen wie Vulkanschlammpfützen. Ein solches Bakterium namens Methylacidiphilum fumariolicum SolV findet sich in Prof. Daumanns Labor: Es wurde von niederländischen Forschern aus dem Solfatara-Krater bei Neapel isoliert. Es nutzt das Gas Methan für seinen Energiestoffwechsel und gehört daher zu den methylotrophen Bakterien; also solchen, die C1-Verbindungen umwandeln.
Auf solche Bakterien stießen Forscher*innen auch im Golf von Mexiko nach der Brandkatastrophe der Ölbohrplattform Deep Water Horizon im Jahr 2010. „Da dabei viel Methan austrat, gab es dort eine Blüte von methylotrophen Bakterien. Gleichzeitig war die Konzentration an Lanthanoiden im Meerwasser deutlich verringert: Die Bakterien hatten sie für ihr Wachstum inkorporiert“, erläutert Daumann.
Prof. Daumann: „Die von uns untersuchten Bakterien benötigen bestimmte Elemente aus der Klasse der Selten-Erd-Elemente – vulgo ‚Seltene Erden‘ – zum Leben. Um genau zu sein handelt es sich dabei um eine Untergruppe, die sogenannten Lanthanoide.“
Zu den Lanthanoiden gehören, neben dem namensgebenden Lanthan, 14 weitere Elemente wie zum Beispiel Cer, Neodym oder Gadolinium. Diese Elemente werden für verschiedene technische Anwendungen benötigt, zum Beispiel für Leuchtstoffe, Magnete, als Katalysatoren oder zum Legieren von Metallen. „Sie kommen auch in Geldscheinen vor, der Euro wird unter anderem mit dem Lanthanoid Europium markiert“, bemerkt Daumann.
In den Bakterien dienen die Elemente als „Kofaktoren“ in wichtigen Enzymen, den Methanoldehydrogenasen. Ein Kofaktor ist eine Nicht-Protein-Komponente, die ein Enzym braucht, um eine Reaktion zu katalysieren; hier die Oxidation von Methanol zu Formaldehyd. Damit sind die Lanthanoide ein essenzieller Teil des C1-Stoffwechsels dieser speziellen Bakterien.
Die Lanthanoide kommen in vielen Mineralien vor und sind somit nicht selten. Allerdings ist ihre Gewinnung weder umweltfreundlich noch nachhaltig, da währenddessen große Mengen radioaktiver Abfälle entstehen. Denn in den Mineralien finden sich häufig auch Uran und Thorium, die dann beim Abbau und der Aufreinigung der Lanthanoide anfallen.
Die einzelnen Elemente – die für die technischen Anwendungen sortenrein benötigt werden – sind außerdem nur schwer voneinander zu trennen, denn sie kommen in den Mineralen ausschließlich gemeinsam vor und ähneln sich chemisch sehr. Sie zu separieren ist aufwändig und energieintensiv.
Die größten vergleichsweise einfach abbaubaren Lagerstätten finden sich in China, andere in Australien. Insbesondere die Dominanz Chinas führt zu wirtschaftlichen Abhängigkeiten, so dass andere Wege gesucht werden, um die Elemente zu gewinnen. Hier können die Bakterien in Prof. Daumanns Labor helfen: „Wir lassen sie in Medien wachsen, in denen Lanthanoide vorkommen oder wo wir eine Lanthanoidquelle hinzugefügt haben.“ Dies können etwa alte Magneten aus Festplatten sein, die viel Neodym enthalten.
„Oder wir können unser extremophiles Bakterium aus der italienischen Vulkanschlammpfütze direkt mit Abwasser aus einer alten Uranmine – das auch einige Selten-Erd-Elemente enthält – im Labor kultivieren. Denn in dem Abwasser sind schon alle Elemente enthalten, die es zum Leben braucht.“ Somit können die Bakterien genutzt werden, um Abwässer zu reinigen und gleichzeitig wertvolle Stoffe zu gewinnen.
Eine weitere potenzielle Anwendung wäre, das Element Gadolinium zu sammeln. Es wird in Krankenhäusern Patient*innen als Kontrastmittel für MRT-Aufnahmen gespritzt; es wird anschließend über den Urin wieder ausgeschieden. Kläranlagen können das Gadolinium kaum zurückhalten, so gelangt es in die Gewässer. Entfernen die Bakterien aber das Element aus dem Abwasser idealerweise schon im Krankenhaus, schützt dies nicht nur die Umwelt, sondern das Gadolinium kann auch wiederverwendet werden. Prof. Daumann nennt aber eine Schwierigkeit: „Die Bakterien präferieren von Natur aus die leichteren Elemente wie Lanthan und Cer, die einen größeren Ionenradius besitzen. Damit sie auch mit schwereren Elementen wie Gadolinium arbeiten, müssen sie darauf angepasst werden.“
Die Lanthanoide sind chemisch einer anderen Gruppe von Elementen ähnlich, den „Actinoiden“. Diese Elemente sind allesamt radioaktiv. Entsprechend untersucht das Forschungsteam auch, ob ihre Bakterien ebenfalls Actinoide aufnehmen und für ihre Stoffwechselprozesse nutzen können. Daumann: „Tatsächlich wachsen unsere Bakterien mit Americium und Curium, wie wir im Labor zeigen konnten.“ Sie haben also das Potenzial, beispielsweise nach radioaktiven Unfällen oder in belasteten Bereichen die gefährlichen Elemente gezielt aus der Umwelt zu binden. „Dass unsere Bakterien nicht nur radioaktive Elemente tolerieren, sondern auch aktiv für ihr Wachstum nutzen, indem sie sie in ihren Enzymen einsetzen, ist im Hinblick auf die Trennung von Lanthaniden und Aktinoiden eine sehr wertvolle Erkenntnis.“
Ein Inhalt des Magazin der Heinrich-Heine-Universität 2024 02.